Auszug aus der Einleitung:
Bereits im zweiten vorchristlichen Jahrtausend wurde das Medium Glas[1], dessen grundlegende Zusammensetzung aus Soda, Kalk und Quarzsand seitdem unverändert blieb, im Vorderen Orient entdeckt. Auch hat sich seine Herstellungsweise seit der in den frühmittelalterlichen Traktaten von Heraclius[2] und Theophilus Presbyter (um 1100-1140)[3] beschriebenen Verarbeitung zum Nutzgefäß und Fensterverschluss[4] bis heute im Wesentlichen nicht geändert.
Durch Ausweitung dieser zunächst ausschließlich profanen Gebrauchsnutzung auf die künstlerische Gestaltungsebene des Flachglases werden geistig-spirituelle Prozesse sichtbar gemacht. Insbesondere in Kirchenfenstern verschmelzen sinnliche Wahrnehmung, spirituelles Empfinden sowie rationale Erkenntnis zu einer begrifflichen Anschauung. Die genuinen Eigenschaften des Materials, Transparenz und Transmission, werden zum Träger einer immateriellen Bedeutung erhoben, wodurch Glasmalerei wie keine andere Gattung das (von Gott gesandte) Licht als konstitutives Moment der Kunstausübung[5] und gleichermaßen als Element der Verherrlichung Gottes sowie als Bestätigung seiner Existenz nutzt.
Glas ist somit einerseits als materielles Objekt erfahrbar und zugleich eine Manifestation des Virtuellen. Aus diesem Grunde hat es bis heute nichts von seiner Faszination auf geistig-spiritueller wie auch auf wissenschaftlich-physikalischer Ebene verloren.
Während die in die Architektur eingesetzten Glasbilder von außen matt, sowie farb- und ausdruckslos erscheinen, entfalten sie erst im Innenraum ihre Leuchtkraft. Sie evozieren eine Raumwirkung, deren atmosphärische Erscheinung sowohl vom natürlichen Tageslicht als auch von der Transluzidität des Glases abhängig ist. Entsprechend des Tages- und Jahreszeitenverlaufes sind die oftmals gen Osten gerichteten Chorfenster am Vormittag mit erwachendem Sonnenlicht gut beleuchtet und Westfenster entsprechend erst am Nachmittag. Um Blendungen zu vermeiden müssen die nach Süden gelegenen Fenster den Lichteinfall dämpfen, während die dunklere Nordseite möglichst viel Licht eindringen lassen soll. Da Glas ein Spektrum an Helligkeitswerten bietet, das bei undurchsichtigen Trägern nicht zu erreichen ist, muss Glasmalerei bereits mit Beginn des Entwurfsprozesses anders als andere Kunstgattungen behandelt werden. Neben dem Transmissionsgrad und der Farbintensität des Glases, der Wahl des Farbauftrages und der Stärke des Bleiliniengefüges ist sowohl die von den Himmelsrichtungen abhängige Lichteinstrahlung als auch die innerarchitektonische sowie die den Kirchenraum umgebende Situation zu berücksichtigen.
Der Wunsch, mit Licht Farbe zu erzeugen, ist mit der zu Beginn der 1930er Jahre bei Ausgrabungen im Kloster Lorsch bei Heidelberg gefundenen nur etwa 30 cm kleinen fragmentierten Scheibe des Kopfes eines Heiligen aus dem neunten Jahrhundert erstmals belegt.[6] Hatte zunächst ausschließlich die romanische Bauplastik den Verkündigungsauftrag zu erfüllen, trat in der Gotik Glasmalerei hinzu. Durch forcierte Entwicklung des Stütz- und Gerüstsystems bemühten sich Baumeister darum, die Kirchenwände ihrer Stofflichkeit zu entziehen und den Eindruck schwebender Materie zu vermitteln. Die so geschaffenen großen Fensteröffnungen wurden mit monumentalen künstlerischen Verglasungen versehen und steigerten damit die Vision des irdischen Kirchenbaus als Symbol der in der „Offenbarung des Johannes“[7] beschriebenen Vollendung der Welt im „Himmlischen Jerusalem“.[8]
Mit dem ältesten heute noch in situ befindlichen Glasmalereizyklus der fünf jeweils mehr als zwei Meter hohen Prophetenfenster einer unbekannten Werkstatt im südlichen Obergaden des Augsburger Domes aus der Zeit um 1130 haben wir ein Zeugnis früher Monumentalmalerei mit Glas.[9]
Ihre Wirkmacht geht von den farbintensiven, mosaikartig aneinandergefügten Glasscheiben aus. Zur dauerhaftenVerbindung sorgfältig, nach Vorgaben des Künstlers ausgeschnittener Gläser, wird seit Anbeginn die so genannte Bleirute[10] mit dem Querschnitt in Form eines „H“ eingesetzt.[11] Die von dem Künstler gefertigte Werkzeichnung im Originalmaßstab des Kirchenfensters, der so genannte Karton,[12] dient hierbei der Glasmalerei-Werkstatt zur praktischen Umsetzung.
Den Höhepunkt sakraler Glasmalerei bildet die Kathedralgotik, die ihre Charakteristik wiederum den monumentalen, heilsgeschichtlich ausgerichteten Programmen transluzenter Malerei verdankt. Sie durchleuchtet den Raumkörper und kreiert so einen scheinbar immateriellen Lichtraum.[13]
In der Folge entstanden etwa ein Jahrhundert später in der Kathedrale von Chartres insgesamt 176 Fenster mit einer Gesamtfläche von 2.600 m² als künstlerisches Gesamtkonzept.[14] Mit aneinander gereihten allgemeinverständlichen Bildbeispielen wird so dem Betrachter die himmlische Welt als Ziel und Vollendung messianischen Geschehens vorgestellt. Ornament und Figur stehen sich innerhalb der Gesamtkomposition gleichberechtigt gegenüber, wodurch die Fenster eine teppichartige Wirkung erzielen.
Bis ins 14. Jahrhunder wurde ausschließlich Schwarzlot[15] verwendet. Der Begriff „Lot“ ist westgermanischen Ursprungs und bezeichnet „Blei“. Diese Glasmalfarbe besteht auch heute noch aus geriebenem Glas (Glaspulver), Kupfer- und Eisenoxyd, sowie dem Bindemittel Gummiarabikum. Mittels Verdünnung wird die Farbintensität variiert.
Seitdem verfeinerten sich die künstlerisch-technischen Ausdrucksmittel und als malerisches Äquivalent kamen Email- oder Schmelzfarben[16] hinzu, die ebenfalls mit einem Pinsel auf das Trägerglas aufgetragen und bei Temperaturen zwischen 550°C und 850°C eingebrannt werden. Damit vollzog sich während dieser Zeit ein erster Wandel in der Behandlung des Flachglases.
Diese Glasmalfarben machen eine Akzentuierung durch Verbleiung überflüssig, erreichen die Leuchtkraft der in Masse gefärbten Gläser jedoch nicht.
Demgegenüber ermöglichen sie eine auf Nahsicht angelegte Malerei mit feinen Farbnuancen und differenzierten Valeurs. Daher orientierten sich Künstler nun an zeitgenössischer Tafelmalerei und verzichteten auf vorgegebene räumlich-architektonische Bezüge zugunsten mimetisch-räumlicher Illusionen. Großflächig in Wandöffnungen aneinander gesetzte leuchtende Glasscheiben wurden von kleinen, detailreichen Glasgemälden innerhalb eines seriellen Bleirutennetzes abgelöst. Mit Entwicklung dieser sogenannten Kabinettscheiben befreite sich Glasmalerei vom Primat des kirchlichen Raumes und hielt Einzug in private und öffentliche Räume.
Ihren künstlerischen Höhepunkt erreichte die Emailmalerei im 17. Jahrhundert, bedingte jedoch gleichzeitig den Rückgang musivischer Bleiverglasung und architekturaffiner Glasbilderfolgen. Aufgrund neuer Raumkonzepte, die nicht mehr nur die architektonische Wand bestimmten, sondern die Wand als Teil des Raumkontinuums verstanden, lehnten Baumeister des Barock farbige Verglasungen zugunsten reinen Tageslichtes ab. Auch Humanismus und Reformation verlangten helle Innenräume mit weitestgehendem Verzicht auf künstlerisch anspruchsvolle Monumentalverglasungen, sodass grundlegende handwerk-liche Fähigkeiten und technische Kenntnisse in Vergessenheit gerieten.
Mit Aufkommen der Romantik und ihrer Affinität zur Gotik erfuhr Glasmalerei eine Renaissance ihrer Technik; jedoch nicht in Form mosaikartig zusammengefügter, differenziert ausgeschnittener, starkfarbiger Scheiben nach mittelalterlicher Manier, sondern in der Tradition der Kabinettscheiben unter Einsatz von Schmelzfarben und Vernachlässigung der sinnfälligen Verwendung der Bleiruten.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts distanzierte man sich wieder vom illusionistischen Bildraum und wandte sich der Flächigkeit hochmittelalterlicher Monumentalkunst zu. Mit Abkehr vom Historismus und der Rückbesinnung auf handwerkliche Techniken richteten Glaskünstler ihr Augenmerk erneut auf die ästhetischen Wirkungsmöglichkeiten des reinen Farbglases durch eine materialgerechte Behandlung. Entgegen durchlichteter Tafelmalerei wurde Schwarzlot in der Tradition mittelalterlicher Bleiverglasungen erneut nur zur Binnenzeichnung sowie für Schattierungen aufgetragen und die Bleiruten erhielten ihre ursprüngliche Bestimmung als (kompositions-)tragendes Gerüst zurück. Die in das Mauerwerk überleitenden Bleilinien entgrenzen die Bildfläche und stellen somit das Bindeglied zwischen Architektur und Monumentalmalerei dar.
In den künstlerisch gestalteten Sakral- und Profanfenstern des beginnenden 20. Jahrhunderts ist der Geburtsmoment der modernen Glasmalerei zu sehen. Dem scheinbar immateriellen Werkstoff kam im Zuge neuer spiritueller Sichtweisen zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Bedeutung zu. Die konstitutiven Momente Glas und Bleirute erhielten wieder eine Gleichgewichtung, die in dem Diktum „mit der Sonne selbst malen“ von Johan Thorn Prikker (1868-1932) zum Ausdruck kommt. Als Inkunabel moderner deutscher Glasmalerei gelten die von ihm entworfenen Fenster der Dreikönigenkirche in Neuss aus den Jahren 1911/12 bzw. 1919.[17] „Von den zahlreichen religiösen Fenstern dieser Jahre können nur wenige zur Kunst der Avantgarde gerechnet werden, diese wenigen leiteten jedoch innerhalb der kirchlichen Glasmalerei eine entscheidende Wende ein.“ [18] Ausgehend von Mechanismen des Jugendstil, des Expressionismus und Symbolismus fand der gebürtige Niederländer mit deutscher Staatsbürgerschaft durch De Stijl und Bauhaus zu einer normsetzenden, zeichenhaft einfachen, tektonisch-ornamentalen Werkauffassung in Anlehnung an die mittelalterliche Technik der Glasbearbeitung. Diese wurde von Künstlern der Folgegeneration zunächst rezipiert, geriet danach jedoch aufgrund veränderter formalästhetischer Ansprüche und neuer glastechnischer Möglichkeiten in Vergessenheit.
Das hier skizzierte Kompendium zur Genese der Glasmalerei zeigt, dass sie sich seit ihren Anfängen nicht kontinuierlich entwickelte, sondern vielmehr in retrospektiven Intervallen, wie es auch nach dem Zweiten Weltkrieg der Fall gewesen ist. Im Zuge geistesgeschichtlicher, gesellschaftlicher und pastoralliturgischer Veränderungen kam ein breites Spektrum glaskünstlerischer Gestaltungsweisen auf. Einhergehend mit der Entwicklung neuer Flachglasherstellungsverfahren und Oberflächenbehandlungsmöglichkeiten erhielt dieses Genre insbesondere seit den 1960er Jahren einen erneuten Bedeutungszuwachs.
Diese Forschungsarbeit gliedert sich folgendermaßen:
Nach einer einleitenden Eingrenzung des Themas durch räumliche, geographische, künstlerische, gesellschaftliche, kirchenpolitische, architektonische und technische Determinanten werden die vielschichtigen Aufgaben von Glasmalerei in Kirchenräumen benannt. Der seit den 1960er Jahren erfolgte Diskurs um Kunst im sakralen Kontext erfolgt in zusammenfassenden Erläuterungen zu grundlegenden Begriffen. Sie geben Aufschluss über Bedeutungsverschiebungen einerseits und Erwartungshaltungen der Auftraggeber andererseits. Diesem Abschnitt folgt eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Literaturlage und dem aktuellen Forschungsstand.
Das zweite Kapitel widmet sich den Rahmenbedingungen der sakralen Glasmalerei als Prämisse für Neugestaltungen in den 1960er bis 1980er Jahren. Zunächst werden mit der Darstellung einer Gesamtentwicklung seit 1945 die glaskünstlerischen Bedingungen unter Einfluss der französischen Erneuerungsbewegung für Kunst im Sakralraum aufgezeigt, gefolgt von architektonischen Veränderungen im Zusammenhang mit glastechnischen Entwicklungen.
Liturgiereformen beider Konfessionen, die in dem Abschnitt „Kirchenpolitische Voraussetzungen“ behandelt werden, leisteten ein neues Verständnis für die Organisation des Gottesdienstes durch die aktive Teilnahme der Gläubigen, was eine Neuorientierung des Kirchenraumes nach sich zog.
Seit dem Mittelalter wird Glasmalerei auch von Privatpersonen und säkularen Institutionen finanziert. Unter diesem Gesichtspunkt erfolgt in diesem Kapitel eine Skizzierung der Modalitäten und Mechanismen des bis heute gültigen Procedere von Auftragsvergaben.
Das 20. Jahrhundert wurde von vielschichtigen kollektiven Veränderungen in einer bis dahin unbekannten Rasanz geprägt. Der konznetrierte Abriss signifikanter weltweiter Geschehnisse markiert die soziopolitischen Veränderungen in Deutschland nach 1945und demonstriert, dass sich diese auch auf die Ikonographie moderner Glasmalerei im Kirchenraum auswirkten.
In Summe bilden diese Prämissen das Umfeld, in dem sich sakrale Glasmalerei der sechziger bis achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts entfalten konnte. Ihre Voranstellung ermöglicht eine konzentrierte Objektanalyse unter Vermeidung von Redundanzen.
Zur bildlichen Umsetzung theologischer Inhalte wird seit jeher monumentale Glasmalerei eingesetzt. In seinem Book of Administration stellt Abt Suger (1081-1151)[19] die spirituell-sakrale Bedeutung des Lichtes als Manifestation des Göttlichen im Irdischen heraus und setzt sie mit dem ersten gotischen Chor in der Kirche von Saint-Denis zu Beginn des 12. Jahrhunderts visuell um. Die Aussage Christi im Johannes-Evangelium „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben“[20] wurde seitdem zum theologisch-architektonischen Leitmotiv und hat bis heute Bestand.
Die immense Themenfülle, die die Bibel bietet, erfährt in den Kapiteln drei bis zehn mittels einer Typologie eine Eingrenzung. An den Kernthemen der christlichen Ikonographie lassen sich neben dem wandelnden Selbstverständnis der Institution Kirche auch die Weiterentwicklung der Glasmalerei ablesen. Als weiterer Aspekt der Ästhetik werden Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes der Malerei mit bzw. auf Glas und Bleiruten untersucht, das auch das Verhältnis der Proportionen betrifft. Nur eine umfassende Aufarbeitung glaskünstlerischen Schaffens erlaubt Rückschlüsse auf präferierte Darstellungsmodi und besonders häufig umgesetzte Themen.
Die Erscheinungsformen des Gottessohnes als Grundlage der christlichen Religion werden jeweils mit einer motiv- und stilgeschichtlichen Genese eingeleitet und mit einem Resümee abgeschlossen. Beliebte Topoi zur Visualisierung der Heilsgeschichte sind seit dem Aufkommen sakraler Glasmalerei Leben und Passion Christi, Gleichnisse sowie das pilgernde Volk in markanten Beispielen des Alten und Neuen Testamentes. Der Kirchenbesucher und Bildbetrachter wird mit den Antinomien des Schönen und Unschönen sowie des Angenehmen und Unangenehmen konfrontiert und somit zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Empfinden angeregt.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts setzten Glaskünstler neben theologisch-katechetischen Inhalten auch geistig-seelische Zustände mit Hilfe von Glas, Bleiruten und Glasmalfarbe um, und christliche Bildthemen wurden mit kontemporären Phänomenen als gesellschaftliches Anliegen miteinander verbunden.[21] Dieses kommt insbesondere in den Szenen aus der Johannesoffenbarung zum Ausdruck, die in Kapitel vier behandelt werden.
Eine nuancierte Beschäftigung mit der von Auftraggebern vorgegebenen biblischen Thematik im Kontext soziopolitischer Veränderungen ist seit den 1960er Jahren evident. Als Ausdruck kritisch-moralischer Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte traten seit den 1980er Jahren neben Engeln und Heiligen vermehrt Darstellungen von namhaften Opfern des Nationalsozialismus in das Blickfeld. Diese werden im folgenden fünften Kapitel thematisiert.
Das Wort als Bedeutungsträger und als Gestaltungsmittel gleichermaßen tritt vor allem in evangelischen Kirchen hervor. Schriftfenster geben nicht nur Bibelzitate und Namen von Heiligen wieder, sondern reflektieren die eigene Geschichte in historisch-dokumentarischer Absicht. Ihrem seit den 1960er Jahren erwachten Interesse wird im sechsten Kapitel durch Aufarbeitung der verschiedenen Formen Rechnung getragen. Ferner wird aufgezeigt, dass Schriftfenster biblische Aussagen auch mit zeitaktuellen gesellschaftlichen Problemstellungen verknüpfen und zu innovativen glaskünstlerischen und handwerklichen Neuschöpfungen führen. Der Einfluss der Medien auf die Auftragsvergabe wird paradigmatisch an dem von Johannes Schreiter (geb. 1930) entworfenen „Physikfenster“ für die Heidelberger Heilig Geist-Kirche erörtert.
Kapitel sieben widmet sich dem immensen Spektrum der Symbolfenster mit Konzentration auf die Marienikonographie. Da die vorliegenden Forschungsergebnisse nicht auf theologische Interpretationsansätze ausgerichtet sind, beschränkt sich die Verfasserin auf Darstellungen von Symbolen der Lauretanischen Litanei in architekturbezogenen Glasbildern. Grundlagenforschungen auf theologisch-literarischer oder auf kunsthistorischer Ebene fehlen für diesen Untersuchungszeitraum bisher. Diese Auseinandersetzung bildet einen Anfang und soll als Basis für weitere Beschäftigung mit diesem Thema dienen.
Waren bis Mitte des 20. Jahrhunderts Farbe, Linien und definierte Formen bildbestimmende Elemente, kamen seit den 1960er Jahren neue Ausdrucksmöglichkeiten hinzu. Die Gemeinschaft betreffende Entwicklungen, die im zweiten Kapitel betrachtet werden, und veränderte Ansprüche machten ungegenständliche Darstellungen zur bevorzugten Bildform. Die Darstellbarkeit Gottes nach zwei Weltkriegen sowie weiterhin bestehenden weltweiten Kriegsgeschehens wurde ebenso hinterfragt wie der theologische Anspruch gegenstandsfreier Kirchenfenster. Künstler setzten sich mit dem Thema um zeitgerechte Darstellungsformen auseinander und stießen einen Diskurs auf breiter öffentlicher Ebene an.[22] Nach den Liturgiereformen beider Kirchen suchten sie eine angemessene Verbindung von Architektur, Gottesdienstordnung und Kunst mit sorgfältig durchdachten Programmen, die das komplexe Spektrum der eucharistischen Liturgie beinhalten.
Insbesondere religiöse Themenstellungen können sich bildlichen Formulierungen entziehen. Aus diesem Grunde stellte Hugo Schnell bereits Mitte der 1960er Jahre heraus: „Wohl in keinem Bereich ist die Entwicklung der `abstrakten´ Kunst von der Figurenkomposition bis zum reinen Farbenarrangement so klar abzulesen wie in der Glasmalerei der christlichen Kunst.“[23] Diese Beobachtungen führen zu dem Themenfeld der Abstraktion in Kapitel acht, das aufgrund seines Umfangs nach formal-ästhetischen Gesichtspunkten differenziert ist.
Seit den 1960er Jahren haben wir eine bis dato unbekannte Vielfalt an glaskünstlerischen Ausdrucksformen, die durch wiederentdeckte Materialien angereichert wurde. Die Veränderung traditioneller Darstellungsmodi durch den Einsatz von so genanntem Beton-Glas als Ausdruck des Zeitgeistes wird im neunten Kapitel verifiziert. Ihre Differenzierung orientiert sich an der Typologie der Bleiverglasungen, da beiden Techniken die mosaikartige Behandlung des Glases zugrunde liegt.
Spiritualität, Religiosität und Transzendenz sind zentrale Themen der Kunst des vergangenen Säkulums, die in der Grisaillemalerei einen genuinen Ausdruck finden. Diese glaskünst-lerische Technik der Farbaskese ist ebenfalls ein Desiderat der Kunstgeschichte, obgleich Schwarz-Weiß-Malerei bereits seit dem Mittelalter praktiziert wird und ein vermehrtes Auftreten in Kirchenfenstern des sechsten, siebten und achten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nachweisbar ist. In diesem Zusammenhang gilt es, Gründe für ein wieder erwachtes Interesse an dieser Kunstform aufzuzeigen, die denselben Bearbeitungsvorgängen unterworfen ist wie Buntglasfenster.
Nach einer kurzen Darstellung der Entwicklungsgeschichte, die mit ihrem Auftreten in Zisterzienserklöstern zu Beginn des 12. Jahrhunderts gut dokumentiert ist, werden im zehnten Kapitel herausragende Objekte des hier zu untersuchenden Zeitraumes herangezogen. Diese sollen einen Beitrag zur bislang unzureichenden Erforschung der Grisaillemalerei von Kirchenfenstern der Nachkriegszeit leisten. Unter der Fragestellung, ob diese Arbeiten als Rezeption mittelalterlichen Formengutes oder als Innovation in Verortung der Zeitumstände zu verstehen sind, soll ihre Position innerhalb der Gattung Glasmalerei beurteilt werden.
Diese Themenkomplexe werden unter Berücksichtigung individueller Entwicklungen von Künstlerpersönlichkeiten, die für die Glasmalerei der 1960er bis 1980er Jahre maßgeblich waren, mit ihren herausragenden Objekten im Kontext der Genese ihrer Gesamtœuvre unter Aufzeigen ihrer Stilmerkmale und Arbeitsweisen behandelt. Es werden aber auch Künstler thematisiert, die wohl nur ein geringes glaskünstlerisches Gesamtwerk hinterlassen haben, deren Objekte jedoch umso beachtenswerter sind, weil sie aus dem Konvolut der umgesetzten Entwürfe dieser Jahrzehnte heraustreten.
Da Glasmalerei aufgrund seiner transluzenten Materialität eigenen Gesetzen unterworfen ist,[24] sind Bezüge zu anderen Kunstformen nicht prämittiert und werden dementsprechend nur, sofern angezeigt, selektiv herangezogen.[25]
Die für die Glasmalerei der deutschen Nachkriegsmoderne Schule machenden Gestaltungen werden als Gesamtzyklen oder als profilierte Einzelfenster innerhalb eines Gesamtprogrammes herausgestellt. Die Auseinandersetzung mit den verschiedenen Darstellungsformen erfolgt auf ikonographischer Ebene mittels Objektbeschreibungen und exegetischen Interpretationsansätzen im Kontext des geistigen Umfeldes, glaskünstlerischer Entwicklungen, handwerklich-technischer Innovationen und des architektonischen Rahmens.
Seit dem Mittelalter erhält Glasmalerei ihre Aufgabe von der Architektur, da sich der Begriff „Fenster“ erst durch den Einbau in eine Wandöffnung definiert. Somit sind die Fensterbilder nicht isoliert zu betrachten, sondern nur in ihrer räumlichen Verortung, da auch nur so ihr Stellenwert beurteilt werden kann. Aus diesem Grunde beruht die vorliegende Analyse auf konzentrierten Beschreibungen der jeweiligen Kirchenräume mit ihren gesamtkünstlerischen Konzepten.
Im abschließenden elften Kapitel werden die behandelten Fragenkomplexe resümiert unter Berücksichtigung des Wandels von Ikonographie, Ästhetik und Funktion sakraler Glasmalerei in diesen drei Jahrzehnten; ausgelöst durch kirchenpolitische Richtungsweisungen und gesellschaftliche Bedingungen sowie weltanschauliche Entwicklungen und handwerklich-technische Neuerungen. Die Aufgabe und Bedeutung künstlerisch gestalteter Fenster in Sakralräumen, die über liturgische und katechetische Zwecke hinausgehen, werden hier zusammenfassend herausgestellt.
Eine kontextualisierte wissenschaftliche Gesamtdarstellung von deutschen Kirchenfenstern der Jahre 1960 bis 1989 erfolgte bisher nicht, während die wissenschaftliche Aufarbeitung mittelalterlicher Glasmalerei von dem internationalen KunsthistorikerInnen-Komitee des Corpus Vitrearum Medii Aevi (CVMA) seit seiner Gründung 1952 umfassend geleistet wird wird. Aus diesem Grunde soll die vorliegende Arbeit einen Beitrag zur bislang unzureichenden Erforschung der monumentalen „Malerei auf Glas“ und der „Malerei mit Glas“ seit der Nachkriegszeit in Deutschland leisten. Jedoch ist auf grund der Komplexität des Themnfeldes keine lückenlose Dokumentation sämtlicher Auftragsarbeiten angestrebt, sondern vielmehr eine Herausstellung ihrer Spezifik an prägnanten Beispielen.
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