Sakrale Glasmalerei – Kirchenfenster in Deutschland als Ausdruck von Tradition und Moderne
Über Ihr Interesse an meiner Forschungsarbeit freue ich mich sehr. Kontaktieren Sie mich gerne für einen fachlichen Austausch
Dr. Ulrike Hoffman-Goswin – Kunst-im-Fokus
Kirchenfenster kreieren als ein Zeugnis europäischer Kulturgeschichte seit 900 Jahren Raumszenarien. Insbesondere durch Aufkommen abstrakter Bildformen, Liturgiereformen, Veränderungen von Sozialstrukturen und Bauformen erhielten sie seit den 1960er Jahren einen neuen ikonographischen Stellenwert. Erstmals erscheint ein Überblick über den Wandel wesentlicher Bildthemen, Gestaltungsformen und Funktionen der zahlreichen, zwischen 1960 und 1989 in Deutschland eingesetzten Kirchenfenster im Kontext des Zeitgeschehens. Die Entwicklungen von mehr als 50 sowohl renommierten als auch weniger bekannten Glaskünstlern werden anhand von 200 prägnanten Objekten auch unter dem Aspekt glastechnischer Neuerungen nachvollzogen. Vergleichende Werkanalysen vermitteln das breite künstlerische Spektrum und dienen zugleich dem Verständnis moderner Glasmalerei im Kirchenraum. Einblicke in den Ablauf der Auftragsvergabe sowie in die individuellen Fertigungsprozesse monumentaler Fensterbilder vom Entwurf bis zur Ausführung in der Technik der Malerei mit bleigefassten Glasstücken und mit Schmelzfarben, der schwarz-weißen Grisaillemalerei und der Beton-Verglasung komplettieren die Gesamtschau.
Rezensionen
Der renommierte Verlag Schnell & Steiner publizierte Anfang 2019 ein gewichtiges Buch über eine der bedeutendsten Entwicklungsphasen der deutschen Glasmalerei.
Die Autorin Ulrike Hoffmann-Goswin hat darin die sakrale Glasmalerei der 1960er bis 1980er Jahre ausgelotet und fachkundig mit sprachlicher Genauigkeit erstaunliche, bisher unbeachtete Aspekte in den Blick genommen. Erstmalig hat sie zudem den Einfluss französischer Kunstströmungen, architektonische Veränderungen, glastechnische Entwicklungen, Liturgiereformen beider Konfessionen und nicht zuletzt den soziologischen Wandel dieser Jahre als wesentliche Parameter für die Genese dieser Kunstsparte berücksichtigt.
Zunächst bietet die Autorin einen kurzen Überblick über die Anfänge der Glasmalerei, vom Kopffragment eines Heiligen aus dem 9. Jahrhundert über die berühmten Augsburger Prophetenfenster (um 1130) bis hin zu den Höhepunkten dieses Metiers in der Gotik. Die Notre-Dame-Kathedrale zu Chartres dient hierfür als Highlight. Begleitet werden die fundierten, mit zahlreichen Anmerkungen in den Fußnoten versehenen Texte durch hervorragende Farbtafeln.
Ein absolutes Novum ist die Gliederung der vorgestellten Werke nach theologischen Gesichtspunkten: 1. Das Christusbild mit den Themen Christus am Kreuz, Auferstehung, Christus Pantokrator, 2. Die Offenbarung des Johannes mit Apokalypse-Darstellungen und dem Himmlischen Jerusalem, 3. Engel, Heilige und moderne Märtyrer.
Die weitere Gliederung erfolgt nach formal-ästhetischen Gesichtspunkten. Ein Sonderkapitel wird den Schriftfenstern („Sola scriptura“) am Beispiel des Heidelberger Fensterstreits gewidmet.
Wie für das 20. Jahrhundert signifikant, ist der abstrakten Glaskunst ein besonders umfangreiches Kapitel eingeräumt. Die tiefschürfenden Analysen der Autorin werden mit Stellungnahmen und Zitaten anderer Persönlichkeiten ergänzt und bereichert. Da werde auch ich hin und wieder mit Aussagen zitiert, an die ich mich kaum noch erinnern kann.
Selbstverständlich verweist Frau Hoffmann-Goswin auch auf neue technische Verfahren der Glasmalerei, zum Beispiel auf die Betonglas-Technik und ihre Genealogie und bietet damit einen umfassenden Überblick.
Wie bereits gesagt, werden die erfassten Projekte mit exzellenten Farbtafeln veranschaulicht.
Ein Fenstertyp, der bei uns Künstlern in den Nachkriegsjahren wieder großen Zuspruch erfuhr, war die Grisaille, das heißt „Glasteppiche“ in Schwarz-Weiß und Grautönen. Frau Hoffmann-Goswin weist als Ursache gesellschaftliche Bedingungen nach. Es handelt sich hier um das Wiederaufleben der Ordensregel Bernhard von Clairvaux´, die den Zisterziensern, bis auf Goldtöne, keine farbigen Fenster erlaubte. Unter anderem in Weibern/Eifel und in St. Marien, Dortmund, habe ich jener wieder neu entdeckten Gattung leidenschaftlich zugesprochen.
Abschließend werden sämtliche Ergebnisse schlüssig zusammengefasst.
Das Glossar mit seinem in der Fachliteratur vermutlich bisher einzigartigen Umfang erläutert mittels zahlreicher Querverweise verständlich die im Text verwendeten Fachbegriffe.
Auch das in dieser Komplexität bemerkenswerte Verzeichnis der herangezogenen Literatur ist als Nachschlagewerk von Bedeutung.
Ich bin mir sicher, dass dieses einzigartige, höchst informative Buch zum Thema sakrale Glasmalerei der 1960er bis 1980er Jahre sowohl für interessierte Laien als auch für Profis eine echte Fundgrube darstellt und wünsche ihm den entsprechenden Erfolg.
Johannes Schreiter
Prof. Dr. hc. Johannes Schreiter, Maler, Grafiker und Glasbildner
Glasmalerei als Kontextkunst
Ein aufschlussreiches Desiderat
Erfreulich, dass die Autorin Ulrike Hoffmann-Goswin ihr Thema verstehen, gründlich durchdringen und verständlich und nachvollziehbar vermitteln will und kann. Kompakt und lesbar geschrieben, hat sie ein Basisbuch über „Sakrale Glasmalerei der 1960er bis 1980er Jahre in Deutschland. Bildthemen, Gestaltung und Funktion“ Anfang 2019 im Schnell+Steiner-Verlag veröffentlicht. Im Anspruch umfassend und forschungsanregend, geht sie auf die Begriffsunschärfen im Feld der Glasmalerei und der sakralen Kunst im Vorfeld ein und beschränkt sich auf notwendige, im Glossar erläuterte Fachbegriffe. So können Interessierte von Grund auf die Rahmenbedingungen, Probleme und Möglichkeiten der Glasmalerei nachvollziehen, die als öffentliche Kunst viel zu wenig Öffentlichkeit erfährt.
Noch immer harrt die graphische Vielfalt und raumkünstlerische Wirkung von Glasfenstern einer neuen Beachtung in der Kunstgeschichte, im Kunstmarkt, bei Architekten, Kirchenvertretern und Laien. Das liegt im Wesentlichen daran, dass diese kaum handelbaren Kunstwerke eingebaut sind und ihre durchlichtete inhaltliche und sinnliche Wirkung nur im Raum entfalten. Dieses Buch zeigt, dass Glasfenstergestaltungen zu Unrecht, Handwerklichkeit gegen Ideenwelt ausspielend, geringschätzig als „Kunsthandwerk“ oder „Kirchenkunst“ angesehen werden, sondern genuiner Teil einer künstlerisch eigenständigen Entwicklung der Moderne sind, so wie das langsam etwa auch für Textiles oder Keramik kunsthistorisch erkannt wird. Die Autorin betont die geistesgeschichtlich komplexere sakrale Glasmalerei, die in den 1950er bis 1980er Jahren, insbesondere im Rheinland, ihre produktivste Auftragsphase hatte, sodass Fensterentwürfe für private, profane und öffentliche Gebäude noch einer umfassenden Analyse harren. Was an einer spürbar belebten Aufarbeitung der Glasmalerei seit der Nachkriegszeit noch zu erforschen wäre, ergibt sich aus der Gliederung der Arbeit, die mit ihren grundsätzlichen exemplarischen Darstellungen zahlreiche Anstöße und Basiswissen für eine weitergehende Beschäftigung und fundierte Debatte liefert. Die „Forschungsstelle Glasmalerei“ hat auf ihrer Internetseite inzwischen für das Rheinland und die Bistümer im Umfeld nahezu alle modernen Glasfenster einzeln erfasst und die Autorin deckt viele süddeutsche Arbeiten ab, für die die als Einschub berücksichtigte französischen L´Art-sacré-Bewegung bestimmender war, wodurch regionale Wechselwirkungen in den Blick geraten. So wären insbesondere angesichts von anstehenden Kirchenschließungen Dokumentationen für den Rest Deutschlands dringend als Forschungsgrundlage geboten, zumal nicht jeder Gemeinde die Künstler der Glasfenster bekannt sind. Das betrifft auch Fenster in Synagogen, orthodoxen, altkatholischen und freikirchlichen Gotteshäusern.
Die Autorin vertieft die gut dokumentierten Positionen katholischer und evangelischer Kircheninstitutionen zu Kunst und zur Glasmalerei, insbesondere angesichts der Auswirkungen der Liturgiereformen auf die Gestaltung der Gotteshäuser und der Veränderungen in der Auftragsvergabe durch die Bildung von Kirchenvertretungen als Demokratisierung der Gemeinden. Die Aufarbeitung der deutschen Glasmalerei der Jahre 1960-89 wird von der Autorin zudem aus den Perspektiven der Architektur, der glastechnischen und der soziologischen Entwicklungen betrachtet. Bisher wurde Glasmalerei nicht so eng mit sozialen und liturgiegeschichtlichen Aspekten verknüpft.
Schon die anfängliche Erfassung der im Anhang umfangreich aufgelisteten Literatur zum Forschungsstand gliedert sie nicht rein chronologisch, sondern nach einzeln abgearbeiteten Gattungen, die kritische Erwägungen hinsichtlich ihrer jeweils spezifischen Sichtweisen erfahren: Glasmalereihistorisches, internationale Publikationen mit ihrem länderspezifischen Blick, Künstlermonographien, Literatur zum Rheinland mit seiner frühen Moderne (um 1910 Jan Thorn Prikker) und schwerpunktmäßig vertretenen architekturbezogenen Glasmalerei, Periodika mit Breitenwirkung, Prestige- und Referenzkataloge deutscher Glasmalerei-Werkstätten, Ausstellungskataloge und Licht oder Apokalypse kontextualisierende Literatur.
Dazu kommen Schriften zum Wandel des Christus- und Kirchenbildes, denn ein Kernbereich des Buches betrachtet die berücksichtigbaren Glasfenster ausführlich und in kritischen Analysen unter dem Gesichtspunkt der Themenwahl und dem Wandel der Bildkonzepte für Darstellungen von Christus (Kreuzigung, Auferstehung, Pantokrator), aus der Offenbarung des Johannes (Apokalypse, Himmlisches Jerusalem), von Engeln, Heiligen, Maria (Lauretanische Litanei) und modernen Märtyrern. Neu sind auch Einzelanalysen in Kapiteln zu Schriftelementen, Grisaillearbeiten, Beton-Glas-Fenstern neben Darstellungen abstrakter Glasmalerei, die wiederum formal in Gruppen gegliedert wird. „Figürlich-ablesbare“ stehen neben „organisch-geologisch-vegetabilen“, „geometrisch-modular-konstruktivistischen“, „dynamisch expressiven“, lyrischen und kalligraphischen Fenstern. Die Vielfalt der Gestaltungen in malerischer, grafischer, technischer und materialbezogener Ausführung zur Be- und Erleuchtung in durch Lichtregie orientierten Räumen für Sammlung und Versammlung wird spürbar und macht Lust auf persönliche Raumerfahrungen.
Dies Buch vermehrt das Verständnis für die Glasmalerei der Nachkriegszeit und ist zugleich durch sein reiches Material ein Appell an eine umfassende Auseinandersetzung und auch Einzelbetrachtungen, wozu die Verzeichnisse von Künstler, Architekten, sonstigen Personen, Orten, Glasmalereiwerkstätten und Glashütten im Anhang hilfreich sind.
Dirk Tölke
Dr. Dirk Tölke, Dozent für Kunstgeschichte an der Akademie für Handwerksdesign Aachen und der Hochschule Niederrhein. 2005-18 Mitarbeiter am Deutschen Glasmalereimuseum Linnich.
Cookies helfen uns bei der Bereitstellung unserer Website. Durch die Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies setzen. (Wir setzen nur technisch notwendige Cookies, diese können nicht abgelehnt werden).